Der blaue Hirschkäfer
Wie er sich herunter bückte, zitterte es, dabei war brütende Hitze, und es brauchte nun wirkliche keine Angst zu haben. Die Federn waren schon braun wie bei den Großen, aber noch etwas flaumig. Er nahm den zitternden Knirps zu sich hinauf, unter den Federn war er hart geworden, hart wie ein Stück Holz. Es hatte ihn ganz schön geschüttelt auf dem Kindersitz im Hanomag. Der alte Traktor nahm im Kriechgang und bei hoher Umdrehungszahl jeden Buckel in der Wiese hart und gleichgültig. Er musste sich die ganze Zeit mit beiden Händen am Gestänge des Kindersitzes festhalten, Papa achtete darauf. Mit schiefem Nacken konnte er so gerade noch sehen, wie neben dem Traktor das hohe Gras auf der Breite von gut einem Meter zuckte, um dann ohnmächtig nach hinten wegzusacken. Dann und wann schüttelte Papa die nackten Knie, die seine kurzen Lederhosen freigaben, lächelte hin zu ihm. So war alles gut. Reden ging ja nicht, bei dem Lärm.
Gemeinsam hatten sie vorher den Mähbalken in Gang gebracht, bis die dreieckigen Stahlklingen ritsch - ratsch hin- und her sausten, die legten alles flach. Die hohen Halme ließen zuckend die Sonne in sich spielen, bevor sie sich neigten. In drei , vier Tagen würde er vielleicht wieder hier sein um Heu zu pressen. Vorausgesetzt das Wetter. Dann würde er mit Papa den Anhänger bepacken, seine Schwester oder Mama sollten vorne den Traktor steuern. Dann wuchs er mit jedem Ballen, den die Presse über die Rutsche auf den Anhänger entließ, wuchs weiter, stand mit nacktem Oberkörper in der flimmernden Sonne, den spitzen Ballenhaken in der Hand. Dann, wenn der Hänger höher wurde packte er selbst die oberen Lagen mit den Ballen, die Papa ihm angab, kam Schicht für Schicht über den lästigen Staub hinaus, den die Presse von sich gab. Wenn der Anhänger schließlich fertig war, turmhoch gepackt, sieben oder acht Lagen über Bracke, blieb er am liebsten auf dem Hänger, wenn der Schlepper ihn nach Hause in die Scheune zog. Dann lag er dort oben auf dem Rücken, wurde unsichtbar für alle durch das Dorf zu ihrem Hof geschaukelt, während er in den Himmel schaute, Arme und Beine von sich gestreckt. Am ganzen Körper spürte er, wie sich die Schichten unter ihm leicht verschoben. Aber nichts konnte passieren, sie würden sicher ankommen. Sie hatten den Hänger gut gepackt.
Doch vorerst kriecht ein hochtourig lärmendes, holperndes Ungetüm durch eine Wiese, die in der Sommerhitze döst. Chris döst mit, döst sich weg, schraubt sich in Gedanken hinauf, immer höher, immer weiter weg vom Traktor, der da unten dumpf seine Bahn kriecht. Wie ein Mäusebussard geht es hinauf in großen Kreisen, bis er hoch oben über der Wiese schwebt. Hier ist der Motorlärm nicht mehr als ein dumpfes Brummen, ein leises, gleichmäßiges Käferbrummen. Kaum zu sehen, dass sich dieses Insekt bewegt, und doch krabbelt es gerade und unbeirrbar seine Bahn, als wüsste es nichts vom Stacheldraht. Ein glänzender, knallblauer Fleck inmitten einer grünen Wiese, die insgeheim ein Freilandgatter ist. Die beiden Frontladergabeln beweisen, dass dieses Insekt zu den Hirschkäfern gehört, und die blauen sind besonders selten. Dann und wann registrieren die Fühler das Ende des Gatters, das Tier macht kehrt, kriecht eine neue Bahn.
Plötzlich sacken die Halme anders als sonst. Sie bleiben auch nicht still liegen, sondern bewegen sich noch wie ein Haufen angestoßener Halmastäbe, dabei ist der Mähbalken schon längst weiter. Er schreit und stößt seinen Vater an, aber bis der Traktor endlich steht, liegt die Stelle schon ein gutes Stück hinter ihnen. Sie finden es leicht, denn da bewegt es sich noch immer.
Nachdem Papa das Gras beiseite geschoben hat, ist da viel blutiges Gezappel und Gekröse in der Nachmittagssonne. Das meiste kommt von der Henne. Die wollte sich wohl ducken, aber für den Mähbalken ging es nicht tief genug. Es ist anfangs schwer zu sagen, wie viel Küken es sind. Eines zappelt noch etwas, da nimmt Papa es in die großen Hände, dreht sich damit um. Aber drei sind anscheinend ganz geblieben. Und die werden ihm versprochen, wie zum Trost. Als wenn er das nötig hätte. Wie musste es erst bei dem Nachbarbauern ausgesehen haben. Da hatte neulich ein Rehkitz in der Wiese gelegen. Jetzt hatte er jedenfalls drei echte Fasanenküken ,er freute sich schon auf die neidischen Gesichter der Geschwister. Er passte auf die Kleinen auf, während Papa im Traktor nach etwas Sackähnlichem suchte. Die Tiere sollten ihn später begleiten, überallhin. Für den Rest der Wiese rutschte Chris ungeduldig auf der harten Kinderbank hin und her. Immer die Stelle am Rand der Wiese im Blick. Da lag der alten Stoffbezug des Traktorsitzes, der zum Glück kleine Löcher hatte. Durch das Gras, das sie darauf gelegt hatten, konnte sich die Hitze nicht stauen. Zu Hause sollte ein richtiges Gehege gebaut werden.
Das dumme Küken zitterte immer noch, und er setzte es ins Gras zurück. Da hatte er zwei wässrige, blutige Flecken in der Hand. Hatte wohl doch etwas abbekommen. Schnell wischte er es an einem Grasbüschel ab und lief wie die Feuerwehr den Baumgarten hinab auf die Scheune zu. Heu pressen, vielleicht schon heute.